Antwort von Bündnis 90/Die Grünen auf die Wahlprüfsteine des Bundesverbandes

Antwort von Bündnis 90/Die Grünen auf die Wahlprüfsteine des Bundesverbandes

Im Rahmen der Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 hat der Bundesverband für selbständige Wissensarbeit e.V. den Parteien verschiedene Fragen rund um das Thema Selbständigkeit zukommen lassen. Hier finden Sie die Antworten von Bündnis 90/Die Grünen.

 

1. Selbständige und Unternehmen klagen über mangelnde Rechtssicherheit beim Einsatz von qualifizierten Freelancern aufgrund von Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Welche Änderungen planen Sie, um mehr Rechtssicherheit herzustellen?

 

Wir GRÜNE wollen das Statusfeststellungsverfahren schneller und praxistauglicher machen. Selbstständige mit projektbasierten Aufträgen sind vor bürokratischen Hürden und nachträglichen Statusaberkennungen zu schützen. Hierzu sind die im Gesetz allgemein formulierten Kriterien durch einen differenzierten Katalog – komplementär zur Gesamtbetrachtung – zu ergänzen. Bei gleichartigen Aufträgen sollte vom konkreten Auftrag losgelöst, d.h. tätigkeits- statt auftragsbasiert, geprüft werden. Auch sind die gesetzlich formulierten Abgrenzungskriterien im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht zu vereinheitlichen. Für uns ist es grundsätzlich denkbar, allen Selbstständigen – bei eindeutiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit – die Möglichkeit zu eröffnen, freiwillig auf eine arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Statusprüfung zu verzichten, sofern sie in alle gesetzlichen Sozialversicherungszweige einbezogen sind und Einkommen erzielen, die regelmäßig oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung liegen.

 

 

2. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig unklaren Rechtsprechung und Gesetzeslage zur Statusfeststellung sind unangemessen hohe Sanktionen der Sache nach unangebracht und unverhältnismäßig. Planen Sie dieses Missverhältnis zu beheben?

Wir GRÜNE setzen uns für die Verbesserung des oftmals intransparenten, langwierigen und mit hohem bürokratischen Aufwand einhergehenden Statusfeststellungsverfahrens ein, um mehr Planbarkeit und Rechtssicherheit für beide Seiten zu erreichen. Dabei gilt es, eine Balance zu finden, damit alle Selbstständigen eine adäquate soziale Absicherung haben und Scheinselbstständigkeit verhindert werden kann, ohne geringverdienende Selbstständige zu überfordern oder unternehmerisch erfolgreiche Selbstständige auszubremsen. Um Scheinselbständigkeit zu bekämpfen, werden Sanktionen weiter eine Rolle spielen müssen. Die Schwachstellen des Statusfeststellungsverfahrens führen in der Praxis allerdings häufiger zu einer Aberkennung der Selbstständigkeit bzw. des Auftraggeber*innen-Status und somit zu einer Nachzahlungsforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und in der Regel nicht zu Sanktionen.

 

 

3. Die Regierung hat gerade das Statusfeststellungsverfahren nach §7a SGB IV reformiert. Leider wurde hierbei eine dringend notwendige inhaltliche Anpassung nicht umgesetzt. Halten Sie eine inhaltliche Anpassung an die modernen Arbeitswelten für erforderlich? Falls ja, wie wollen Sie dies umsetzen?

Die Bundesregierung hat eine wichtige Reform leider in einem sehr verkürzten Beratungsverfahren beschlossen, mit Regelungen die ab 1. Januar 2022 in Kraft treten sollen. Diese gehen in die richtige Richtung. Allerdings sind weitergehende Änderungen für uns sehr gut vorstellbar, am besten in Verbindung mit einer Versicherungspflicht für alle nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit dem Antrag „Mit Sicherheit in die Selbstständigkeit (Drs.-Nr. 19/17133) hat die grüne Bundestagsfraktion hierzu ein umfassenderes Konzept vorgelegt. Dazu zählt etwa eine Typisierung der selbstständigen Tätigkeit im Arbeits-, Sozial-und Steuerrecht, um die Statusprüfung zu erleichtern, indem sie vom konkreten Arbeitsauftrag losgelöst und stattdessen tätigkeitsbezogen durchgeführt würde.

 

 

4. Wie ist die Position Ihrer Partei zur Altersvorsorge von Selbständigen und welche Differenzierungen hinsichtlich der heterogenen Gruppen von Selbständigen gedenken Sie dabei vorzunehmen?

Wir setzen uns für die Versicherung der Selbstständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung ein, die nicht anderweitig über eine Pflichtversicherung abgesichert sind. Schon heute wechseln Erwerbstätige im Laufe ihres Erwerbslebens zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Hier bietet die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenkasse Selbstständigen eine lückenlose Sicherung mit dem gesamten Leistungsspektrum der Rentenversicherung. Angesichts der vielgestaltigen Formen von Selbstständigkeit muss sichergestellt sein, dass sich alle Selbstständigen ihren Schutz leisten können und finanziell nicht überfordert werden. Darum muss den Einkommensunterschieden von Selbstständigen unbedingt durch die Möglichkeit zur flexiblen Beitragszahlung Rechnung getragen werden – z.B. durch Karenzzeiten während der Gründung oder bei geringer Auftragslage. Auch die Voraus- und Nachzahlung der Beiträge je nach Einkommenslage muss Selbstständigen möglich sein.

 

 

5. Sofern sich Ihre Partei für eine Altersvorsorge von Selbständigen ausspricht, inwiefern planen Sie im Rahmen einer etwaigen Gesetzgebung die bestehenden Vorsorgeanstrengungen Selbständiger im Sinne eines „Bestandsschutzes“ anzuerkennen?

Natürlich haben viele Selbstständige ihre Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung organisiert. Selbstverständlich sollen jene, die schon länger vorgesorgt haben, dies auch weiterhin so machen können. Bei der Einführung einer verpflichtenden Altersvorsorge in der gesetzlichen Rentenversicherung muss es daher eine Altersgrenze geben, die nicht zu hoch liegen darf. Sie soll einmalig beim Übergang in die Rentenversicherungspflicht zum Tragen kommen und unverhältnismäßige Eingriffe in langjährig bestehende Altersvorsorgearrangements von wirtschaftlich erfolgreichen Selbstständigen ausschließen. D.h. falls die Altersgrenze z.B. bei 35 Jahren angesetzt würde, würde dies bedeuten, dass die über 35-jährigen Selbstständigen mit bestehender Vorsorge diese weitermachen können. Für künftige Selbstständige soll die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung von Beginn an gelten.

 

 

6. Planen Sie die Belastungen, die Erwerbstätigen und Unternehmen durch rechtliche und bürokratische Rahmenbedingungen entstehen, in der Zukunft zu verringern und diejenigen Bereiche, die ein Hemmnis für Innovationskraft darstellen, konkret zu reduzieren?

Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen, um mehr Zeit für die eigentliche Arbeit zu schaffen. Digital und personell gut aufgestellte Verwaltungen ermöglichen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das sorgt für weniger Bürokratie. Nachweise und Unterlagen, über die Behörden bereits verfügen, sollen nicht erneut vorgelegt werden müssen. Wir GRÜNEN wollen einfachere Steuerregeln: Anschaffungen bis 1.000 Euro sollen sofort abschreibbar sein und die Umsatzsteuer soll erst entrichtet werden müssen, wenn der Kunde bezahlt hat (für Unternehmen mit weniger als zwei Millionen Euro Jahresumsatz). Zur Entlastung von Kleinstunternehmen wird die Gewinngrenze für die Buchführungspflicht angehoben. Junge Unternehmen wollen wir besser unterstützen: In den ersten zwei Jahren befreien wir Gründungen weitgehend von Melde- und Berichtspflichten und bieten Information, Beratung und Anmeldung aus einer Hand an.

 

 

7. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um das Ansehen der Selbständigen zu stärken und ihre wichtige Funktion für die deutsche Wirtschaft stärker herauszustellen?

Wir stehen für eine neue Kultur der Selbstständigkeit und für ein gutes gesellschaftliches Innovationsklima. Dabei unterstützen wir vor allem kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige und Gründungen. Sie sind es, die alternative Angebote auf den Markt bringen, Zukunftsfelder erschließen und lokale Wertschöpfung unterstützen. Selbständige Berufstätige brauchen gute Rahmenbedingungen und eine bessere soziale Absicherung. Dafür wollen wir GRÜNE den Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung vereinfachen und eine Zugangsmöglichkeit schaffen. Selbstständige sollen damit neben dem Anspruch auf Arbeitslosengeld I auch einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld in besonderen Notsituationen wie beispielsweise während einer Pandemie erhalten. Wir wollen Gründungen aus Phasen der Arbeitslosigkeit heraus besser fördern und durch die Krise zurückgeworfene Berufsanfänger*innen mit einem Einstiegszuschuss eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen.

 

 

8. Wie bewerten Sie die Bestrebungen auf europäischer Ebene zur Regulierung der Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen und welche Maßnahmen halten sie auf nationaler Ebene hier für notwendig?

Wir GRÜNE wollen den Status von Erwerbstätigen über Plattformen rechtssicher klären und Gig-, Click- und Crowdworker sozial besser absichern. So sollen nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Außerdem sollen für Soloselbstständige in der Plattformökonomie, die an der Grenze zur abhängigen Arbeit tätig sind, ähnliche Regeln gelten wie für arbeitnehmerähnliche Personen. Damit wird die Missbrauchsgefahr von Werk- und Dienstverträgen für Lohndumping reduziert. Zudem halten wir ein Mindesthonorar für zeitbasierte Dienstleistungen und eine Reform des Europäischen Kartellrechts für notwendig, um allgemeine Mindestentgelte für spezifische Werke oder Dienstleistungen zu ermöglichen. Es braucht soziale Mindeststandards bei den AGB, um Fairness und mehr Transparenz von Vergabeentscheidungen zu erreichen. Eine Kontrollinstanz soll AGBs und Datenschutzregelungen von Plattformbetreibern auf Zulässigkeit prüfen und kontrollieren können.

 

 

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